Die letzte Kolonie Afrikas

julian Kontent 2016

Die letzte Kolonie Afrikas

Über den Autor

Axel Javier Sulzbacher (*1992) studiert Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der Hochschule Hannover.

Ziel • Fotoreportage 02.08.2016

Axel Sulzbacher bereiste 2013 das erste Mal Marokko und stieß dabei auf den Westsahara-Konflikt. Nach Antworten suchend kehrte er mehrfach zurück, um seine Recherchen in Fotografien zu dokumentieren. Seine vorletzte Reise führte ihn nach Westalgerien, in das Flüchtlingslager von Tindouf. Dort entstanden diese Bilder. Ende Juli dieses Jahres fuhr Axel in die Westsahara, wurde aber von der marokkanischen Polizei festgehalten und musste seine Reise abbrechen.

1976 endete für die Westsahara die spanische Kolonialherrschaft, woraufhin das benachbarte Marokko Anspruch auf das Land erhob und es teils besetzte. Seitdem kämpfen Saharauis, die maurischen Bewohner*innen der Westsahara, für einen eigenen, unabhängigen Staat. 1991 kam es zu einem Waffenstillstand, dessen Teil ein Referendum über Westsaharas Unabhängigkeit war. Es fand allerdings nie statt.

Im Laufe des Kampfes flohen 165.000 Saharauis nach Algerien, weshalb der Konflikt die Beziehung zwischen Marokko und Algerien beeinflusst. Die Geflohenen wurden sesshaft und bildeten eigene, staatsähnliche Strukturen. Viele saharauische Familien in Algerien haben im Flüchtlingslager neben einem Lehmhaus auch ein Zelt in der Wüste, um an ihre Tradition anzuknüpfen. In der Westsahara ist Zelten hingegen verboten.


 

Die Polizei der Frente Polisario*, der Volksfront zur Befreiung der Westsahara, führt selbständig Kontrollen in der Gegend um die Lager (bei Tindouf) durch. Sie richten sich hauptsächlich gegen Schmuggler aus Mali oder Mauretanien, die das Länderdreieck zwischen Algerien, Mali und Mauretanien nutzen, um Drogen, Waffen und Menschen zwischen Norden und Süden zu schmuggeln. Aber auch extremistische Kräfte wie die malische Ansar Dine und in der Sahara sowie dem Maghreb verbreitete al-Qaida-Ableger sehen die Saharauis als Gefahr für ihre perspektivlose Jugend.

* Die Saharauis sprechen zum Großteil fließendes Hochspanisch.



Der Alltag der Saharauis ist vom Warten geprägt. Sie warten auf die monatlichen Essensrationen. Sie warten auf das Ende der heißen Sommertage. Sie warten auf das Ende der Besatzung. Sie warten auf den letzten Befreiungskrieg. Sie warten auf den Frieden, der darauf folgen mag.


 

2013 reiste ich das erste Mal durch Marokko. Schnell wurde mir klar, dass der Süden Marokkos, die Westsahara, einen nicht eindeutig geklärten Status hat. Auf der Straße eine Antwort oder Informationen über dieses Gebiet zu bekommen, war unmöglich. Anfang 2014 beschloss ich, auch in die Westsahara zu fahren. Ich unterhielt mich mit mehreren Saharauis sowie Marokkaner*innen, und begann über den nun seit mehr als 40 Jahre andauernden Konflikt zu recherchieren. Auf einer weiteren Reise 2015 knüpfte ich meine ersten Kontakte zu Polisario sowie Aktivisten*innen im Umfeld der Saharauis, die es mir ermöglichten, im Februar 2016 einen Zugang zu den Lagern nahe Tindouf zu bekommen, dem südalgerischen Exil der Saharauis.

Ich kam in Tindouf an und wartete im Haus dieses Mannes. Er war für mich zuständig. Er sprach kein Wort mit mir, schaute mich nur an. Im Gegensatz zu ihm saß ich auf heißen Kohlen, saß dort sehr lange, saß fest. Ich wollte sehen, was hier passierte. Mir wurde das erste Mal bewusst, was Warten eigentlich bedeutet; und später, fast am Ende meines Aufenthalts, wurde mir klar, dass es den Menschen im Exil nicht anders ging.


 

Im Oktober 2015 gab es heftige Regenfälle in der Region Tindouf. Am stärksten betroffen war das Flüchtlingslager Dakhla, ganz im Süden Algeriens an der mauretanischen Grenze. Zahlreiche Häuser wurden zerstört. Im Allgemeinen sind die Lehmhäuser der Saharauis unstabil und müssen oft wiederaufgebaut werden, weshalb ich meinem Begleiter die Frage stellte, warum sie nicht stabileres Material benutzen. Er antwortete „Würden wir hier feste Häuser bauen und uns hier niederlassen, hätten wir unseren Kampf, der uns zum Überleben antreibt, verloren.“


 

Die Befreiungsbewegung Frente Polisario hat staatsähnliche Strukturen gebildet. Diese sind liberal bis sozialistisch sowie säkulär – 99% der Saharauis sind Sunnit*innen. Da während des Krieges gegen Marokko zwischen 1976 und 1991 so gut wie alle Männer zwischen 16 und 60 an der Front kämpften, haben die Frauen diese Strukturen aufgebaut; erst seit 1991 ziehen Männer in sie ein.
Die Strukturen sind von hoher Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau geprägt, so in Bildung, Beruf und Militär. Zahlreiche Saharauis genossen zudem eine Ausbildung im Ausland, vor allem in Kuba, der ehemaligen Sowjetunion und Algerien.



Auf der Bühne (nicht im Bild) wurde ein Theaterstück zum „Unabhängigkeitstag“ aufgeführt. Die Mädchen feiern das 40-jährige Bestehen der Demokratischen Arabischen Republik Sahara. Sie rufen: „Es gibt keine Alternative als die ganze Heimat“ oder „Der König muss brennen!“


 

Die Feierlichkeiten zum 40. Unabhängigkeitstag streckten sich über mehrere Tage. Neben einem international organisierten Marathon gab es verschiedene Veranstaltungen vonseiten der Schulen sowie der sozialen Einrichtungen. Der Höhepunkt war die Zeremonie, eine traditionelle Militärparade in Dhakla – Durchhalteparolen schepperten durch rostige Lautsprecher.


 

Nach einem Krebsleiden ist Mohamed Abdel Aziz am 31. Mai 2016 im Alter von 68 Jahren gestorben. Abdel Aziz kämpfte bereits Anfang der Siebziger für Westsaharas Unabhängigkeit gegen Spanien. Einzig für seine Zustimmung zum Waffenstillstand 1991 wurde er von den Saharauis kritisiert. Vor allem die junge Generation, die kein anderes Leben als im Flüchtlingslager kennt, ruft immer lauter für eine Rückkehr zu den Waffen.

Noch ist die Polisario zum Dialog bereit. Aber im Falle eines bewaffneten Kampfes sieht sie keinen Weg zurück an den Verhandlungstisch: „Eine mögliche Rückkehr zu den Feindseligkeiten wird nicht zeitlich und räumlich begrenzt sein. Dieses Mal wird der Krieg erst mit der völligen Befreiung unserer besetzten Heimat enden“, so Mansur Omar, der westsaharische Minister für Beziehungen nach Lateinamerika und in die Karibik.