„Ich war nie Club-Kid“ – Interview mit Regisseur Yony Leyser

julian Kontent 2016

„Ich war nie Club-Kid“

Über die Interviewerin

Natalie Mayroth ist Journalistin, Bloggerin und Fotografin. Sie schreibt und fotografiert unter anderem für Vice, taz und selbstdarstellungssucht.

Das Ziel • Interview mit Yony Leyser 31.07.2016

Lederjacke, gekürzte Jeans und Handschellenohrring am linken Läppchen. Ezra, ein jüdischer Schriftsteller, zieht durch Berliner Straßen in die Clubs. Mit dabei: seine düstere Freundin Cat. Zwischen nackter Haut, Drogen und Deutschunterricht stürzen sie sich in eine queere Sightseeingtour von Friedrichshain nach Schöneberg, hören Rummelsnuff und treffen Nina Hagen, die Godmother of Punk.

Sein halbes Leben lang macht Yony Leyser schon Film. Seinen Durchbruch hatte er 2010 mit William S. Burroughs: A Man Within. Über Kickstarter sammelte der Jungregisseur dann Geld für seine Doku-Fiction Desire Will Set You Free, zu Deutsch „Lust macht frei“. Stoff des Films sind Yony Leysers persönliche Erfahrungen: Vor sechs Jahren zog er aus den USA nach Berlin, wo er in die queere Subkultur abtauchte. Gerade beendet Yony seinen dritten Film Liberation Is My Lover und plant schon den nächsten. Er arbeitet eben gerne.

Yony, wie kam es zu deinem aktuellen Kinofilm „Desire will set you free“?
Ich wollte eine Postkartenansicht von Berlin machen. Über meine Freunde, mein Leben, und damit die queere Kunst- und Underground-Renaissance dokumentieren.
 
Eine Postkarte ist etwas Künstliches, ein idealisiertes Bild. Warum nicht die Realität zeigen?
Verlangen (desire) ist real. Es gibt nicht eine Realität, sondern mehrere Realitäten.


 
Du zeigst die dreckige Seite von Berlin: Sex-, Drogen- und Partyszenen. Ist das dein Bild der Stadt?
Das ist die Welt, in der ich lebe, die Menschen im Film sind meine Freund*innen. Das meiste ist improvisiert, vieles stammt aus Dialogen, die so stattgefunden haben – eine Mischung aus Dokumentation und Fiktion. Das Dreckige ist, was die Stadt von anderen abhebt. Das Nachtleben in Berlin ist nirgendwo besser. Jeder, der neu in die Stadt kommt, merkt das.

Wie umtriebig bist du heute?
Als ich nach Berlin kam, war ich der Partyszene gegenüber skeptisch. Ich war nie Club-Kid, ich war Punk. Ich wäre damals nie in Clubs wie das Berghain gegangen. Ich war in der Rigaer Straße und in der Köpi (bekannt für ihre besetzten Häuser, die Redaktion), doch ich war enttäuscht: Die Leute haben gesellschaftlich nichts Interessantes beigetragen, die meisten waren wütend und oft betrunken. Ich habe mich anders orientiert.

Im Film gibt es eine Romanze zwischen Ezra und dem Escort Sasha…
Er kam im Dezember 2012, um mich zu besuchen. Und wir waren zwei Wochen lang nur feiern. Als wir uns wieder sahen, war er eine Frau.

Was war deine Intention, die queere Szene zu zeigen?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine hatte. Ich wollte meine Welt zeigen, eine, die für andere vielleicht verschlossen ist.

Hat dich der Film verändert?
Ich bin jetzt etwas älter, lebe ein anderes Leben. Einen Film zu machen bedeutet einen Teil seiner Persönlichkeit zu töten. Es ist ein Weg, um Dämonen loszuwerden. Du schreibst über eine Trennung und hängst ihr danach nicht mehr hinterher.
 
Wo endet bei dir Realität und beginnt Fiktion?
Ich bin mir nicht sicher. In meinem Kopf vermischen sich Fiktion und Fakten. Es macht mehr Spaß, so zu leben. Das Gleiche gilt für den Film.
 
Hatte deine Familie vor dem Film einen anderen Eindruck von Deutschland?
Meine Stiefmutter wurde in einem Konzentrationslager geboren, die Eltern meines Vaters sind dem NS-Regime entkommen. Das war lange Zeit die einzige Verbindung zu Deutschland. Doch die Sicht hat sich verändert. Meine Mutter liebt Berlin jetzt, sie hätte gerne im Film mitgespielt.
 
Deine Familie hat mit Deutschland schlechte Erfahrungen gemacht, warum wolltest du trotzdem hierher?
Deutschland hat sich verändert. Es ist freier und offener als die USA – das betrifft Berlin, nicht ganz Deutschland. Letztes Wochenende bin ich zum Beispiel mit ein paar Freund*innen mit dem Rad nach Rügen gefahren. In jeder Kleinstadt hingen NPD-Plakate und die Leute haben mich angeglotzt. Besonders für Ausländer*innen mit dunkler Haut ist es nicht unbedingt sicher.
 
Der deutsche Titel „Lust macht frei“ ist provokant, er erinnert an den NS-Spruch „Arbeit macht frei“.
Den Namen habe ich von einer Party übernommen, die „Lust macht frei“ hieß. Auf dem Flyer war das Eingangstor eines KZs zu sehen. Das Wort „Arbeit“ war mit „Lust“ überschrieben. Ein schwuler italienischer Künstler hat das initiiert. Ich dachte mir, wie bescheuert es ist, so ein Motiv für eine Party zu verwenden – die aufgrund von Protesten nie stattgefunden hat. Ich habe mich dann für die abgeschwächte Version „Desire Will Set You Free“ entschieden.

Was bedeutet „Desire Will Set You Free“ für dich?
Es ist ironisch gemeint. Auf Englisch würde ich tongue-in-cheek dazu sagen, denn Verlangen (desire) allein wird dich wahrscheinlich nicht freimachen.   

Am Freitag, den 12. August um 21 Uhr ist „Desire Will Set You Free“ auf dem Fuchsbau Festival zu sehen.