Nicht mehr vorbei

Fabian Stark Kontent 2017

Nicht mehr vorbei

Über den Autoren

CHANGE ist ein Netzwerk zur spekulativen Erfassung der Zehner Jahre. Max Wallenhorst, *1993, studiert Angewandte Theaterwissenschat in Gießen und arbeitet an Auto-Essays und schwachen Performances. Tilman Richter, *1989, studiert Kulturwissenschaft in Berlin und arbeitet über Körper, ihre Medien und die Verwaltung von Individualität.

Essay 28.07.2017

Das sind andere Nächte jetzt und sie haben andere Soundcloudprofile. Da ist der Moment, ungefähr bei Minute 01:02, da setzt das Vierviertel plötzlich doch nicht ein, dafür ein Übergang. Im halligen Loop crashen die ersten Forderungen von Bitch Better Have My Money rein: Pop-Empowerment of Colour und ein fragmentiertes Vertrautsein, das sich im Remix nie ganz ausgehen wird. Und noch mal Rihanna, von da in die dunkle gaming soundscape, zu Jersey Club oder Principe bis zum Intro von Akira. Tracklists, deren Genres nur durch dünne Elektronenfäden zusammenhängen. Sets, die nicht beliebig, sondern seltsam organisch gebaut sind – wie die unintelligente Database eines Lesezeichenordners. Egal, in wie vielen Youtube-Kommentaren unter den Boiler-Room-Sets von Lotic oder Mobilegirl, LSDXOXO, Ziùr oder Born In Flamez der alte Sound zurückgefordert wird: Gute DJ*ane zu sein heißt hier jetzt etwas anderes. Virtuoser Browser statt Vinyl-Messias, der die Körper vor dem Pult intensiv zum Verschwinden bringt wie den Übergang zwischen zwei Tracks oder zwei Leben. Der Übergang durchkreuzt den Club, queert den Raum und das Genre. Das könnte Post-Club sein und manche nennen das so – im Club genauso wie draußen im Internet.

Lass uns kurz rausgehen, ich möchte mit dir über das Internet sprechen, das, seit es da ist, immer schon mit allem zu tun hatte. Und hiermit auch. Das letzte Mal, als wir hier standen, hast du mir erklärt, wie bestimmte Algorithmen uns besser kennen als wir uns selbst. Genau, du hattest die Machtfragen ans Netzwerk abgegeben und das Netzwerk hattest du aufgegeben. Ich fand das immer süß, wie du da ganz in Schwarz am Ende der Geschichte herumstehst, weiß und cis und hetero und cool. Slick wie die Interfaces des neuen Internets, das zumindest für dich keine Grenzen kannte: Und weil alles vorbei ist, ist es auch egal, wer auflegt oder von wem die Musik wie gemacht wird, denn für die Maschine zählt es angeblich nicht und das Soundsystem ist sehr, sehr gut. Ich hatte das ja auch kurz gedacht. Es ist egal, sagst du, aber schon irgendwie auch Jungssache. Das denke ich nicht.

Post-Club hat vielleicht mit einem ganz, ganz frühen Internet zu tun.

Für einen sehr kurzen Moment gab es da die Idee, dass Körper virtuell neu zusammengesetzt werden können, jenseits ihrer Materialität und jenseits von race, class, gender. Dass ich in real life Versicherungsvertreter sein kann und in digital life ein Ork, aber sexy. Die Räume, in denen das möglich schien, haben sich so ineinander verkrampft, dass sie kaum noch wiederzuerkennen sind. Das Internet bietet nur noch selten die vibrierende Anonymität von Virtual Reality, sondern nistet sich mit Apps in Identitäten ein. Im Grafikdesign der Soundcloudprofile von Post-Club finden sich dabei die abgelegten Trends, die Layer für Layer immer dunkler werden: 3D-Schriftzüge und Videospielcharaktere, nun mehr Affekt als 90er Jahre. Wie die mit den frühen Nullern hier durchgeistern, ist kein nostalgischer Rückblick in die endlosen Weiten des Cyberspace. Post-Club weiß, was damals kurz unklar war. Wenn dieser Sound also seine Räumlichkeit beschwört mit klirrenden Schwertern, bearbeiteter Atmung und Off-off-Beat, dann macht er erfahrbar, dass die mediale Gegenwart genau keine körperlose ist, sondern jeder Körper ein digitales Objekt unter anderen.

Die Offline-Körper vermitteln sich affektiv mit ihren Online-Versionen, mit den in ihnen niedergelegten Wünschen, Erinnerungen, Hoffnungen. Diese Körperfragmente wissen von den Machtdynamiken, die sie informieren, aber sie kennen keine Gott-Algorithmen.

Dann habe ich irgendwo draufgeklickt oder bin irgendwo hingegangen, der Übergang kam und in allem, was da drinsteckt: Ist das das neue Cool? Ist cool noch cool? Es könnte sein, dass das, wovon du sprachst und wie, vorbei ist. Oder eher: nicht mehr vorbei. Der Sound, der uns hier noch interessiert, kommt von Affekten, die sich daran binden, dass es weitergeht – Hoffnung, Angst, Care und Langeweile, plus x.

Wir sind dann los und die Tür war softer als sonst. Alle, die da waren, waren an den richtigen, an ihren Stellen. Irgendwer gleich aufs Klo, wer anders irgend so eine Bewegung.

„Hier“ ist bei Janus, Staycore, Creamcake, Naafi, NON, Trade, GHE20 GH0T1K oder, oder, oder. Das Gefühl ist ungefähr: Wenn Mobilegirl die Sims-Version von Don’t Cha spielt, singen sie Simlish und ich verstehe kein Wort, aber kann alles mitsingen. Da ist der Beat und Schweiß und ich bin auch hier und jetzt, aber nicht nur. Dieses wolkige Club-Hier bleibt in Bewegung, fährt andere Temperaturen hoch, sogar Erinnern ist total möglich und dann auch kurz Wegsein, raus sein, das iPhone checken. Wenn ich hier den Übergang zwischen den Tracks spüre, diese Tracks nicht zu einer Landschaft verschmelzen, dann ist das auch ein Anfassen, das mich nicht verschwinden lässt. Nicht als Abstraktion, sondern als Affekt, mal geteilt, mal nicht, also irgendwie zwischen uns. Die Ups and Downs dieser Infrastruktur ergeben andere Loops, eine andere Dramaturgie der Nacht. Am Ende bleiben wir wie immer lange, aber es gibt noch das Draußen, nicht nur die Angst davor. Die Erschöpfung ist irgendwie verändert. “A puddle of tears in one corner and a puddle of cum in another”, so stellt sich Lotic den bestmöglichen Club vor. Keine Ahnung, ob es das schon ist, ob das schon hier ist, aber ich kann es mitsingen. Das ist präziser Nostalgie-Futurismus: Im Abstand zwischen der allernächsten Zukunft und der blutjüngsten Vergangenheit gibt es eine Geschichte, nicht nur meine. Als Verschiebung geht sie durch diesen Körper, nicht nur meinen, nicht alle.
 
Am Ende von Über Pop-Musik prophezeit Diedrich Diederichsen, dass Pop nicht mehr von der „Unverwechselbarkeit indexikalischer Einzelner“ handeln wird, sondern jetzt „die Kooperation auf den Weg bringen muss.“ Irgendwo zwischen dem nächsten empfohlenen Track bei Soundcloud, dem Link zur Kunst, und letzter Nacht hat die Szene des Post-Clubs Bild- und Tonmaterial gefunden, das einen Raum tragen kann, in dem Zusammenhänge geschaffen werden zwischen so unterschiedlichen Stimmungen, Dingen und Körpern. Durchkodierte Räume älterer Club-Dispositive werden entschlossen experimentell aufgebrochen. Aber die verschiedenen Styles, die dabei probiert werden, klingen genauso super-anders wie sie am seidenen Faden zusammenhängen: Hardstyle wird aus seiner bro culture herausgelöst wie süßlichster Parallel-Universums-Pop seines Ausrastmoments beraubt wird. Tracks aus DIY-Teeniezimmern finden ihren Weg in relevante Podcasts wie die neuen Sachen von jenen, die inzwischen für Kanye produzieren. Es gibt Raum für CDJ-Virtuos*innen mit Kompositionsausbildung wie für drei Akkorde in der Ableton-Version. Dazwischen Sounds, nah am Körper, die allen die Hand reichen, so kitschig das auch klingt: Ha-Samples, Rihanna-Snippets oder Dancehall-Rhythmen – sie werden zu Medien, die die verschiedenen Tempi und Temperaturen miteinander kurzschließen.
 
Die Infrastruktur des Post-Clubs ist die digitale Plattform. Soundcloud-Kommentare und FB-Likes stellen die Sachen nebeneinander. Im Club droppen Edits von Edits von Edits, bevor einer davon verlinkt ist. Und ja, da kennen sich auch Leute und hängen miteinander ab. Post-coole Atmosphäre: Warm, aber auch heiß, kalt, heißkalt. Offen, da wo es möglich ist, aber auch distanziert dort, wo es heißt, den eigenen affektiven Investments einen sicheren Lebensraum zu bieten. “Dann kam andere Musik online und die haben wir nicht in der Stadt gefunden”, sagt Daniela Seitz über ihre Partyreihe Creamcake.

Es ist möglich, Dinge zusammenzufassen, einsehbar zu machen, Verbindungen darzustellen, ohne sagen zu müssen, worin die bestehen. Es reicht nicht, dass es etwas gibt, man muss auch hingehen können und da bleiben.