Von Menschen und Steinen – Interview mit Cheikhmous Ali

julian Kontent 2016

Von Menschen und Steinen

Über den Interviewten

Cheikhmous Ali ist syrischer Archäologe. Im Jahr 2011 hat er die APSA mitgegründet und ist seitdem für die Kontakte zur UNESCO und der internationalen Polizei Interpol zuständig.

Das Mittel • Interview mit Cheikhmous Ali 31.07.2016

Der Bürgerkrieg in Syrien tobt seit mittlerweile fünf Jahren. Große Teile des Landes sind dem „Islamischen Staat“ (IS) zum Opfer gefallen, und auch andere versinken in Chaos und Leid. Einzigartige archäologische Monumente geraten dabei zwischen die Fronten.

Die mesopotamische, babylonische, griechische und römische Kultur haben ihre Spuren in Syrien hinterlassen. Relikte belegen hier erste christliche Lebensweisen. Für den IS sind es diese heidnischen, prä-islamischen Sakralbauten, die es auszulöschen gilt; vielen anderen Kriegsakteur*innen bedeuten sie schlicht weniger als der eigene Sieg.

Die Association for the Protection of Syrian Archaeology (APSA) kämpft für den Erhalt und das Andenken an dieses kulturelle Erbe. Unter Einsatz ihres Lebens dokumentieren rund ein Dutzend Freiwillige die Schäden, Plünderungen und Verwüstungen an Bauwerken – und katalogisieren noch Erhaltenes. Auf dem Fuchsbau Festival wird Cheikhmous Ali, Vorsitzender von APSA, über die aktuelle Lage und seine Erfahrungen berichten.

Warum gibt es in Syrien diesen Kampf um historische Orte?
Cheikhmous Ali: Ich glaube, dass diese archäologischen Monumente allen Menschen in Syrien gehören. Manche dokumentieren die Menschheitsgeschichte: die Altstadt von Aleppo, Damaskus, Busra, Palmyra, die Salah ad-Din Moschee, die Toten Städte, die Gegend um Idlib. Den verschiedenen Kriegsfronten ist das bewusst, weshalb sie ihre Restaurierung oder Zerstörung medienwirksam nutzen. Diese Artefakte und Bauwerke sind Jahrtausende alt und ich glaube, es gibt eine Pflicht, sie für die nachfolgenden Generationen aufzubewahren.

Was motiviert dich diese Arbeit zu machen?
Ich habe mir nun mal den Beruf des Archäologen ausgesucht – vor allem in Krisenzeiten kann ich nicht dasitzen und zuschauen, wie alles, wofür ich gearbeitet habe, zerstört wird. Die Tatsache, dass ich aus Syrien komme, hat Vorteile für diese Arbeit. Für mich ist es einfacher, den Kontakt zu den Menschen vor Ort aufrechtzuerhalten, die die Zerstörung möglichst detailliert registrieren und dokumentieren müssen.

Wie würdest du das Verhältnis zwischen Mensch und Archäologie beschreiben?
Der Mensch kann nicht ohne Vergangenheit. Die Geschichte hat Einfluss auf die Gesellschaft, in der wir leben. Die deutsche Geschichte hat Einfluss auf das deutsche Gedächtnis, auf die Art, wie Kulturproduktion wahrgenommen wird, aber auch auf das Gedenken oder den Umgang mit Geschichte. Wir können das nicht einfach löschen. Es ist eine Lektion. In Syrien waren Assyrer*innen, Byzantiner*innen, die verschiedenen islamischen Dynastien, die Osman*innen, Syrien ist und war ein Vielvölkerstaat. Wir können diese Geschichte nicht löschen oder ohne diese Geschichte leben. Der Mensch wird von seiner Umwelt beeinflusst und er lebt in dieser Umwelt, entsprechend muss er auch dafür sorgen, dass sie erhalten bleibt. Weil es sonst ihn nicht gäbe.

Was bedeutet diese Geschichte für die syrische Identität?
Sie ist wahrscheinlich der einzige gemeinsame Nenner. Es gibt Syrer*innen, die für das Regime kämpfen, und andere dagegen. Aber sie sind sich darin einig, dass der Zustand der Zitadelle von Aleppo alle Syrer*innen betrifft. Archäolog*innen auf beiden Seiten sind für den Erhalt dieser Artefakte. Als die Zerstörung von Palmyra anfing, fühlte sich auch das Ausland betroffen. Vielleicht ist das der Wert dieser archäologischen Orte: dass sie eine der wenigen Gemeinsamkeiten sind, auf die sich jede*r Syrer*in berufen kann.

Inwieweit kann Geschichte Menschen empowern?
Syrien war ein Tunnel und ein Becken für verschiedene Kulturen, nie gab es starken rassistischen Nationalismus. Ein Mosaik nicht nur ansässiger, sondern auch vieler externer Kulturen wie die babylonische, islamische oder römische. Dieser Mix ist bis heute vorhanden, aber er wird von den kriegsführenden Fronten unter Beschuss genommen. Das Regime hat mit der Zerstörung angefangen, dann sind die anderen eingestiegen, der IS, verschiedene oppositionelle Gruppen bis hin zur YPG. Alle haben sich an der Zerstörung beteiligt. Natürlich ist das Regime zu verantworten, weil es seine Aufgabe wäre, diese Orte zu schützen. Er inszeniert den Schutz dieser Orte, um sich reinzuwaschen. Die Medien haben den Eindruck vermittelt, dass der IS für den größten Teil der Zerstörung von Palmyra verantwortlich sei. Das stimmt nicht. Wir haben ein 15-seitiges Dokument über die Zerstörung von Palmyra durch das Regime vor der Ankunft des IS. Sie hat auch nach der Rückeroberung nicht aufgehört.

Denkst du, dass diese Orte restauriert werden oder zerstört bleiben sollten?
Der Krieg ist noch nicht zu Ende, also sind alle historischen Orte weiterhin in Gefahr. Wir können uns nicht sicher sein, ob Palmyra morgen wieder Kriegsgebiet ist. Was die Restauration angeht, so wäre ich zum momentanen Zeitpunkt definitiv dagegen, weil sie nicht korrekt durchgeführt werden würde.
Was wir allerdings tun, sind Notfalloperationen. Wir versuchen das Gebäude zu stützen, wenn es droht zusammenzufallen. Ansonsten beschränkt sich die Arbeit auf die Registrierung und Dokumentation. Aber auch nach dem Krieg muss man abwiegen – und zwar von Objekt zu Objekt, je nach Zerstörung. In Palmyra sind viele Orte zu 100 Prozent zerstört. Hier würde ich sagen, es muss zerstört bleiben, weil das nun zur Geschichte dieses Ortes gehört. Sonst hätte man ja auch 2011 schon ganze Bauwerke nachbauen können. Nach dem Krieg könnte man Nachbauten neben die zerstörten Orte stellen. Um zu zeigen, wie es 2011 aussah.

Welche Nachricht hat dich am meisten getroffen?
Die Zerstörung der Umayyaden-Moschee in Aleppo, weil ich dort selbst sechs Monate gearbeitet habe, bevor ich nach Frankreich kam. Doch jede Zerstörung macht mich sehr traurig, weil ich glaube, dass sich viele Syrer*innen nicht bewusst sind, was ihnen verloren geht. Oft ist es diese Gleichgültigkeit, die mich müde macht.

Warum bist du Archäologe geworden?
Weil ich aus der Nähe von Tell Brak komme. Ich bin an einem historischen Ort geboren, und diese archäologischen Funde gehören zu meiner Kindheit. Ich hätte nicht gedacht, dass ich jemals das tun würde, was ich jetzt tue.

Das Interview führte Luna Ali.