#blackpopmatters

julian Kontent 2016

„Sound is our weapon“ – der Einfluss von #BlackLivesMatter auf die Popmusik

Über den Autor

Christoph Möller moderiert auf ByteFM die Musiksendung Popschutz und arbeitet als freier Autor für das öffentlich-rechtliche Radio. Sein Interesse gilt kosmischen Abenteuern und verlorenen Zukünften. Wenn er einen Ort nennen müsste, an dem er sich gerne aufhält, dann wäre es das Dazwischen.

Mittel • Essay 08.08.2016

„I can’t breathe.“

Es sind die letzten Worte von Eric Garner, am 17. Juli 2014, im Stadtteil Staten Island, New York. Mehrere Polizisten haben den übergewichtigen Asthmatiker niedergerungen, sie pressen sein Gesicht auf den steinigen Boden vor einem Geschäft für Schönheitsartikel. Er bekomme keine Luft mehr, elf Mal fleht Garner um sein Leben, später stirbt er im Krankenhaus. Er hatte illegal Zigaretten verkauft, eine Lappalie. „I can’t breathe.“ Der Satz wird zum nationalen Protestruf bei Demonstrationen gegen Polizeigewalt, vor allem gegen Schwarze. Die Geschwister von Eric Garner, Ellisha und Steven Flagg, haben aus den letzten Worten ihres Bruders einen Song gemacht. Rappendes Erinnern gegen Hass und Gewalt.


„Wie viele Schwarze müssen noch getötet werden, damit sich etwas verändert?“,

 

fragt der R’n’B-Musiker Miguel in seinem Song „How Many“, mit dem er auf die Tötungen von Alton Sterling und Philando Castile reagiert.
„I’m tired of human lives turn into hashtags.“ Am Anfang seines Lamentos erklärt Miguel: „I can not sleep. I can not rest. I can not dream. I can not stay silent.“ Die USA im Jahr 2016 – eine Nation, in der große Teile marginalisierter Communities von einem Gefühl der blechernen Hilflosigkeit erfasst sind, vom Gefühl des can not, des Nichtverstehens einer atmosphärischen Verschiebung, ausgelöst durch neue Formen und Qualitäten rassistischer Gewalt und populistischer Rhetorik. „I can’t breathe“, es sind nicht nur die Worte von Eric Garner, die medialisiert durchs Netz rasen, es ist die Beschreibung einer aggressiven Atemlosigkeit. Die Bewegung Black Lives Matter (BLM) drückt sie aus. Sie bildete sich vor drei Jahren, nachdem George Zimmerman, der Mörder von Trayvon Martin, von einem Gericht in Florida freigesprochen worden war. „Black Lives Matter“, eine Selbstversicherung, für die es keine Notwendigkeit geben sollte, die unter dem Hashtag #BlackLivesMatter Frust, Hass und Hilflosigkeit sammelt, Geschichten über Ausgrenzung und Polizeigewalt.

Wirklichkeitsmaschine mit Jetztzeit-Antrieb

Die tödlichen Schüsse und die Proteste von BLM weisen auf eine Frage zurück, die der Soul-Musiker Syl Johnson 1987 stellte: „Is It Because I’m Black?“ Dieser Ausdruck tiefer Unsicherheit folgt einer Jahrhunderte währenden Geschichte der Marginalisierung. Ist es, weil ich Schwarz bin?, ist eine Frage nach erlaubten und geduldeten Identitäten: Wer darf ich eigentlich sein? Wo ist ein Ort, an dem ich mich wohlfühlen kann, will, darf, in einer Gesellschaft, die mich offenbar nicht so akzeptiert, wie ich bin?


Für die Schriftstellerin Taiye Selasi ist dieser sichere Ort nirgendwo außer im Sound.

 

Die in New York lebende African American mit einer Mutter aus Nigeria, einem Vater aus Ghana und einem britischen Pass sagt: „The only place in which I felt peace, was music. It all comes for me through sound.“ Bei einer Lesung im Münchner Residenztheater im Juni 2016 spricht sie über die Absurdität, die beispielsweise in Donald Trumps Gier nach nativistischer Nostalgie liegt. Ein kulturell bereinigtes Amerika, wie Trump es fordert, sei reine Fantasie. Sie sei der Ansicht, dass alle Menschen Hybride sind, Remixes, jeder komme von überall her. Der Kulturtheoretiker und Musiker Paul Miller, ebenfalls auf dem Podium, beobachtet zwei unversöhnliche Phänomene in der US-amerikanischen Gesellschaft: Einerseits die von Donald Trump befeuerte Ideologie der Reinheit, die Sehnsucht nach diesem vermeintlich reinem Ort, der in der Vergangenheit existiert haben soll. Andererseits das Bestreben von BLM und (nicht nur) Schwarzen Künstler*innen, Kategorien wie race, Herkunft und Identität zu destabilisieren, um eine bessere Zukunft zu konstruieren, in der sich Menschen selbstverständlich zwischen verschiedenen Kulturen bewegen. Für die Verwirklichung einer Welt, in der Menschlichkeit und Gleichbehandlung oberste Priorität haben, scheint Sound der perfekte Ort zu sein. Als Wirklichkeitsmaschine mit Jetztzeit-Antrieb, wie ihn Taiye Selasi beschreibt. Denn das soll die Popmusik doch sein: ein Seismograph des Jetzts zur Verbesserung der Welt.

Afrofuturismus als produktive Fluchtstrategie

Auffallend an Songs, die an BLM anknüpfen und sich mit Fragen von Identität beschäftigen, ist die Nutzung afrofuturistischer Strategien der Veranderung (Englisch: othering). Der Afrofuturismus nutzt Ausgrenzungserfahrungen als kreatives Potenzial, für ästhetische Inszenierungsstrategien in Kunst, Pop und Mode. Diese Rekonstruktion afrodiasporischer Vergangenheit schafft eine Zukunft positiver Fiktion. Die Musikerin Janelle Monaé, die sich offensiv für die Rechte von Schwarzen einsetzt, inszeniert sich beispielsweise als Androiden, als Wesen, das nicht von dieser Welt ist: „The android represents in the future the new gay, the new woman, the new black, those who often times marginalized and discriminated against.“ Eine positive Utopie. Ihre Haltung: Wenn ihr mich als Mensch in dieser Gegenwart nicht wollt, dann bin ich eben anders, aber dann möchte ich wenigstens die Zukunft für mich beanspruchen.
Der Afrofuturismus will sich von Traditionen zu verabschieden, und Black Music von ethnischen Verbindungen lösen, um fluide Möglichkeitsräume zu konstruieren. Vor einem Jahr postet Janelle Monaé ihren Protest-Song „Hell You Talmbout“, in dem sie Namen von Schwarzen nennt, die von Polizisten erschossen worden sind: Sandra Bland, Eric Garner, Michael Brown und viele andere. Auf Instagram schreibt sie, Sound müsse die Waffe der Bewegung sein, nicht Hass, nicht Stille.

This song is a vessel.
It carries the unbearable anguish of millions.
We recorded it to channel the pain, fear, and trauma
caused by the ongoing slaughter of our brothers and sisters.
We recorded it to challenge the indifference, disregard,
and negligence of all who remain quiet about this issue.
Silence is our enemy. Sound is our weapon.
Janelle Monaé
 

Auch Beyoncé nennt die Namen der getöteten Schwarzen und zeigt im einstündigen Musikfilm zu ihrem Album Lemonade Mütter, die Fotos ihrer getöteten Kinder in die Kamera halten. Der Streifen über die unangenehme Suche nach einer besseren Schwarzen Zukunft nutzt auch den Ausschnitt einer Rede von Malcolm X aus dem Jahr 1962: „The most neglected person in America is the black woman.“ Das klingt verstörend aktuell. Dazu Beyoncé, wie sie in gelb-wallenden Gewändern grinsend durch die Straßen läuft und mit einem Baseballschläger Autos zertrümmert. Im Hintergrund sausen wuchtige Feuerbälle um die Ecke. Beyoncé inszeniert sich als Yoruba-Göttin Oshun, die für Weiblichkeit, Liebe und Sinnlichkeit steht, die aber auch großes Leid und Vergewaltigung erfahren hat.


Auch diese mystische Adaption ist eine afrofuturistische Umdeutung, eine Frage danach, wer in Zukunft die Macht hat. Hier ist es ein Konstrukt der Schwarzen Frau. Selbst die Natur weint in Lemonade. Mit grauem Moos behangene Bäume säumen die trüben Arme des Mississippis. Vor einer massiven Eiche sagt Beyoncé: „The past and present merge to meet us here. What luck. What a fucking curse.“ In den Verästelungen des Baumes sitzen junge Frauen. Sie reenacten hier die Geschichte der Sklaverei, und entwerfen darüber hinaus eine futuristische Gemeinschaft, in der sich die Menschen umeinander kümmern. Dann singt Beyoncé von Freiheit und „breaking chains“.


Die Erschütterung der Schwarzen Community durch rassistisch motivierte Polizeigewalt hat die Popmusik nachdenklich gestimmt und wütend gemacht.

 

Pop ist im Kontext von BLM ein produktives Ja zum Nein, ein Ja zu neuen Ordnungen von Symbolsystemen, um die beschränkte Gegenwart mit Offenheit und sonifizierten Futurismen zu bekämpfen. Popmusik dient als Anknüpfungs- und Identifikationsfläche, als afrodiasporisches Verkehrsmittel, das mit Hypergeschwindigkeit in Richtung Weltall unterwegs ist, und nie müde wird, rechts, links, oben und unten abzubiegen, um sonischen Fiktionen und utopischen (Un-)Möglichkeiten nachzuspüren. Am Ende bleiben zwar nur unsichere Repräsentationen flüssiger Formen, Sound-Verarbeitungen zum widersprüchlichen Ort der Geborgenheit. Aber an diesem Ort wird mit breiter Brust geatmet. Ein und aus. Ein und aus.